Björn Gerster, Director Marketing Consulting DACH bei Dun & Bradstreet Europe, im Interview mit Norbert Schuster über die digitale Transformation in Unternehmen und was das überhaupt genau bedeutet. Björn erläutert dabei auch, wie wichtig automatisierte Datenanreicherung bei der digitalen Transformation in Marketing und Vertrieb ist.
Norbert Schuster: Björn, bevor wir über die Anreicherung von Daten sprechen, möchte ich Dir zunächst eine allgemeine Frage zur digitalen Transformation in Marketing und Vertrieb stellen: Wie schätzt Du die Bedeutung der digitalen Transformation in Marketing und Vertrieb ein?
Björn Gerster: Wir sollten zunächst erläutern, was wir mit digitaler Transformation eigentlich meinen.
Der technologische Wandel ist so groß, dass er die Art und Weise, wie wir Geschäfte machen, erheblich beeinflusst – und das mit zunehmendem Tempo. Fast alle aktuellen Änderungsprozesse gehen einher mit der Entstehung und Verarbeitung neuer Datentypen – angetrieben durch neue und immer leistungsfähigere Methoden. KI (künstlicher Intelligenz) und Echtzeit sind hier sicherlich die hervorzuhebenden Elemente. Wir müssen Daten im gesamten Unternehmen, in allen Geschäftsbereichen, an allen Touchpoints wesentlich effizienter und effektiver verwalten und nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Analoge und manuelle Prozesse müssen digitalisiert werden.
Dabei ist das zentrale Ziel der Digitalen Transformation die Steigerung der Effizienz durch die Automatisierung von Entscheidungen und Prozessen (Campana & Schott: Future IT-Report 2020). Es geht darum, Puzzleteile zusammenzusetzen, Muster auf einer ganz anderen Ebene zu erkennen, als es das menschliche Gehirn kann.
Effizienz hat hier zwei Facetten – einerseits die Kosteneffizienz durch das Ersetzen von fehlerbehafteten und zeitintensiven manuellen Prozessen und andererseits Vertriebseffizienz durch die Möglichkeit, sich auf diejenigen qualifizierten Opportunities und Leads mit größtem Wert und höchster Abschlusswahrscheinlichkeit zu konzentrieren.
Für Marketing & Vertrieb ist die digitale Transformation die einzige Chance, den Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Der Kunde erwartet eine durchgängig attraktive Customer Experience – egal über welchen Kanal er mit uns interagiert.
Deshalb geht es aus meiner Sicht immer um den Dreiklang aus
- Daten, um aus firmographischen und nutzungs- bzw. interessengesteuerten Informationen, relevante Ansprachen zu generieren,
- Konnektivität von Touchpoints und Systemen, um die generierten Informationen im Sinne einer 360 Grad Kundensicht fließen lassen zu können und
- regelbasierte bzw. KI-getriebene Automatisierung von Prozessen.
Es ist klar, dass die Digitalisierung immer Herausforderung und Chance zugleich ist. Einerseits bringt sie die Unternehmen in Bedrängnis, die nicht über die nötigen Strukturen verfügen, um sich Marktveränderungen schnell und flexibel anzupassen. Andererseits birgt sie Wachstumspotenziale für jene Firmen, die ihre digitale Transformation konsequent umsetzen. Wir sehen in vielen Projekten, dass dies vor allem dann gut gelingt, wenn Unternehmen dies ganzheitlich angehen.
Die digitale Transformation ist eine unternehmensstrategische Aufgabe. Es ist dringend erforderlich, die Verantwortung dafür auf höchster Führungsebene zu verankern und einen Vorstand mit der Aufgabe zu betrauen, die digitale Transformation abteilungsübergreifend zu steuern. Die Einsetzung eines Chief Digital Officer (CDO) setzt ein Zeichen an Führungskräfte und Mitarbeiter, dass die Unternehmensführung der digitalen Transformation hohe Priorität einräumt.
Norbert Schuster: Wo siehst Du die größten Herausforderungen für das Marketing und den Vertrieb? Worauf sollten die Leser unbedingt achten?
Björn Gerster: Die zentralen Fragen drehen sich im Wesentlichen um 3 Bereiche:
- Wie findet man die richtigen Leads?
- Wie werde ich relevant für meine Zielgruppe?
- Wie sorge ich für Effizienz und Wirksamkeit meiner Maßnahmen?
Und die Antworten auf alle 3 Fragen sind in der digitalen Transformation zu finden.
Wie meine ich das? Ganz einfach…
- Richtige Leads finde ich nur dann, wenn ich verstehe, welchen Wert meine Kunden aus meinen Produkten & Services ziehen. Den Wert zu ermitteln bedeutet, die vorhandene Datenbasis zu meinen Kunden optimal zu nutzen. Ich muss die vorhandenen Silos aufbrechen, die Daten zusammenführen und Duplikate eliminieren. Basis hierfür sind valide, vollständige und aktuelle Daten… darauf kommen wir sicherlich noch zu sprechen.
- Relevant werde ich dann, wenn ich meine potenziellen Kunden mit den richtigen Themen zum richtigen Zeitpunkt anspreche. Dazu sollte ich in Echtzeit meine internen Daten mit externen Daten und analytischen Modellen verknüpfen, um diejenigen Leads mit der höchsten Kaufwahrscheinlichkeit zu identifizieren. Hierzu gibt es viele spannende Ansätze im B2B Marketing. Es muss natürlich GDPR berücksichtigt werden.
- Effizienz kann ich am besten sicherstellen, indem ich Prozesse automatisiere und wiederum dafür sorge, dass die den Prozessen zugrunde liegenden Daten korrekt, vollständig und aktuell sind!
Für viele Unternehmen bedeutet das einen umfassenden Umbau hin zu einer ganzheitlichen Daten- und Informationsstruktur über alle Bereiche, und das unabhängig von der Zielgruppe B2B oder B2C.
Dass dafür nicht viel Zeit bleibt, hat uns 2020 für Marketing und Vertrieb eindrücklich gezeigt. Es ist nochmals sehr deutlich geworden, dass der Interessenten- und Kundendialog auf digitale Füße gestellt werden muss, um systematisch Impulse in der neuen Kommunikationswelt senden zu können.
Norbert Schuster: Welche Bedeutung hat Stammdatenmanagement und die Anreicherung von Daten für die digitale Transformation in Marketing und Vertrieb?
Björn Gerster: Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse erzeugt eine unglaubliche Fülle von Daten. Wir müssen lernen, sie optimal zu nutzen, um am Ende die Wachstumsziele zu erreichen.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist zu wissen, welche Informationen korrekt und welche relevant sind. Mit der Vielzahl genutzter Informationssystemen – vom CRM über die Marketing-Automation Plattform bis hin zu Zahlungs- und Kreditsystemen – werden Daten schnell inkonsistent.
Salesforce zeigt in einer aktuellen Studie auf, dass 91% der Daten in CRM-Systemen unvollständig sind und ca. 70% der Daten jedes Jahr veralten.
Die fehlende ganzheitliche Sicht auf die Kundenbeziehungen verhindert noch viel zu oft das Kundenerlebnis. Kunden und Leads werden zum falschen Zeitpunkt mit den falschen Themen angesprochen, Lieferungen gehen an falsche Lieferadressen, der Vertrieb investiert viel zu viel Zeit auf den falschen Potenzialen.
Kurz gesagt, unzuverlässige Daten führen zu verpassten Wachstumschancen.
Die Erstellung einer einzigen, einheitlichen Version jeder Kunden- und Interessentenbeziehung über mehrere Kanäle hinweg erfordert saubere, vollständige und konsistente Daten. Um dies sicherzustellen, gehen viele Unternehmen den Weg, die eigenen Daten gegen ein sogenanntes „Reference Data Universe“ abzugleichen und die eigenen Daten anhand dieser Datacloud mit einem unique Identifier zu versehen, zu standardisieren, zu vervollständigen und ggf. mit weiterführenden Informationen anzureichern. Durch die Integration über APIs mit zugehörigen Monitoring-Prozessen kann die Aktualität sichergestellt werden.
Es gibt spannende Möglichkeiten, nicht nur klassische firmografische Informationen anzureichern, sondern auch online generierte Informationen zur Positionierung auf der Website, eingesetzten Technologien, zu aktuellen Events und Pressemeldungen oder auch Third Party Intent Data aus dem Bereich Suchverhalten im Web, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Aus all diesen Daten lassen sich aktuelle Bedürfnisse und v.a. relevante Ansprachen ableiten. Stellen Sie sich vor, Sie bieten IT-Services und Integrationsleistungen für ERP-Systeme an. Neben den klassischen Segmentierungen über Branchen, Unternehmensgröße etc. wissen Sie nun über Third Party Intent Daten, welche Unternehmen sich verstärkt im Web über ausgewählte ERP Systeme informieren, welche Unternehmen aktuell Stellen zur Projektleitung im ERP-Bereich ausschreiben, welche Unternehmen ggf. in Artikeln oder Pressemitteilungen über Modernisierungen im ERP-Bereich sprechen und bei welchen Unternehmen bestimmte Keywords auf der Website Rückschlüsse zulassen. Steilvorlagen für Ihren Vertrieb!
Unternehmen mit modernen und erfolgreichen Sales- und Marketingstrategien verwalten ihre Daten strategisch und verwandeln Daten in Erkenntnisse und Wissen, um die eigenen Wachstumsziele zu erreichen.
Ob sich der Aufwand lohnt? Ja, auf jeden Fall! Es ist inzwischen Standard, dass wir mit unseren Kunden Business Cases kalkulieren und eine ROI-Betrachtung vornehmen. Aber auch folgende Aussagen beweisen das:
- Datengetriebene Unternehmen gewinnen 23-mal wahrscheinlicher Neukunden (McKinsey „Global Insights“)
- Das durchschnittliche Wachstum von insights-getriebenen Unternehmen liegt bei rund 30% (Forrester – „The insight-driven-business“).
Norbert Schuster: Zum Abschluss, Björn. Mit welchen Fragen sollte sich ein Unternehmen, das sich im Transformationsprozess hin zu einem datengetriebenen Business befindet, beschäftigen?
Björn Gerster:
Zunächst einmal muss klar sein, dass die Organisation des Stammdatenmanagements das Fundament darstellt und gleichzeitig eine Reise ist. Ich sehe Unternehmen immer wieder straucheln, wenn sie versuchen, Master Data Management im Rahmen eines „Big Bang Approaches“ unternehmensweit einzuführen. Nicht weil sie die technischen Mittel nicht dazu haben, sondern weil Mitarbeiter, Abteilungen und Ländergesellschaften vom Mehrwert nicht überzeugt werden können oder aber es intern an Ressourcen oder Wissen mangelt bzw. das Top Management letztendlich nicht dahintersteht. Master Data Management und damit auch Data Governance müssen in der Unternehmensstrategie verankert sein. Rollen und Verantwortlichkeiten müssen geklärt sein und ein Change-Management Prozess eingeläutet werden. Grundlage und der üblicherweise erste Use Case sind i.d.R. die Stammdaten für Kunden und Interessenten mit den entsprechenden Onboarding- und Aktualisierungsprozessen, die über Schnittstellen sichergestellt werden. Anschließend kommen weitere Use Cases, insbesondere aus den Bereichen Risikomanagement und Compliance hinzu. Dies sind Bereiche, die ebenfalls von strukturierten und aktuellen Stammdaten profitieren und die natürlich zusätzliche Anforderungen stellen.
Ein sinnvoller Startpunkt ist grundsätzlich eine Statusanalyse zur vorhandenen Datenqualität. Vielfach erlebe ich, dass uns Kunden nicht eindeutig beantworten können, wie viele Kunden und Interessenten sie insgesamt in ihren Systemen haben. Eine Statusanalyse hilft dabei, eine dedublizierte Sicht auf die eigenen Daten zu bekommen. Mit der Anreicherung eines unique Identifiers (der D-U-N-S®-Nummer) schaffen wir eine wichtige Voraussetzung zur Bildung eines Golden Records in den Kundensystemen. Gleichzeitig zeigt die Statusanalyse weitere spannende Insights, wie bspw. die wirtschaftliche Aktivität der Geschäftspartner, Verteilungen über verschiedene Branchenklassifizierungen (z.B. SIC, NAICS oder WZ), Umsatzklassen oder den Anteil von in Konzernbäumen verflochtenen Unternehmen sowie die Rolle, die das Unternehmen im Konzernbaum einnimmt.
Die zentralen Fragen, die dann beantwortet werden müssen, sind, an welcher Stelle manuelle Prozesse automatisiert werden können, welche Daten für welchen Use Case in welchem System und Prozess benötigt werden, welche davon intern zur Verfügung stehen bzw. extern angereichert werden sollten? Natürlich müssen diese Fragestellungen nicht nur fachlich, sondern insbesondere auch aus der technischen und prozessualen Perspektive diskutiert werden. Welche Rahmenbedingungen gibt es in der eigenen IT-Infrastruktur, sind Direktintegrationen in die bestehenden Systeme gewünscht oder kommt die Nutzung von Konnektoren oder IPaaS-Lösungen (Integration Platform as a Service) infrage?
Ganz egal, an welcher Stelle ein Unternehmen steht, wir freuen uns über einen Austausch!
Norbert Schuster: Lieber Björn, vielen Dank für dieses Interview.